Bezirksgerichte, 1695 (ca.)-2013 (Abteilung)

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Title:Bezirksgerichte
Inhalt und Form:Die Bezirksgerichte wurden mit der Inkraftsetzung der liberalen Kantonsverfassung am 10.04.1831 als Nachfolgebehörden der Amtsgerichte eingeführt. In jedem der elf Bezirke wurde ein Bezirksgericht eingesetzt, das anfänglich aus fünf und im Bezirk Zürich aus sieben Richtern bestand. Die Wahl der Bezirksrichter und des Gerichtspräsidenten oblag zu Beginn der Bezirksversammlung. Seit 1867 fällt diese Aufgabe sämtlichen stimmberechtigten Einwohnern des Bezirks zu. Die Amtsdauer der Bezirksrichter beträgt seit jeher sechs Jahre. Bis 1874 fanden alle drei Jahre Teilerneuerungswahlen statt, wobei jeweils zuerst die kleinere, dann die grössere Hälfte der Richter zu erneuern war. Seit 1875 findet die Wahl für das gesamte Organ gleichzeitig statt. Zum weiteren Personal jedes Bezirksgerichts gehören seit Beginn die - bis 1874 vier, danach mehr - Ersatzrichter sowie die vom Gericht selber zu wählenden juristischen und administrativen Kanzleiangestellten.
Die Zunahme an Prozessen sowie die komplizierter werdenden Rechtsverhältnisse zogen an den Bezirksgerichten verschiedene Entwicklungen nach sich, die in den städtischen Bezirken Zürich und Winterthur schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in den meisten ländlichen Bezirken dagegen erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts einsetzten: Erstens nahm die Zahl der Richter sowie der übrigen Gerichtsangestellten aufgrund wachsender Geschäftslast stark zu. Zweitens wurden die ursprünglich nebenamtlichen Laienrichter immer mehr durch juristisch ausgebildete Berufsrichter ersetzt; seit 2017 sind für Richterposten an den Bezirksgerichten nur noch studierte Juristen wählbar. Und drittens vollzog sich eine organisatorische Änderung, indem die meisten Bezirksgerichte ständige Gerichtsabteilungen einrichteten, die unabhängig voneinander Prozesse bearbeiten.
Die Hauptaufgabe der Bezirksgerichte besteht darin, erstinstanzlich in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten zu entscheiden. Von 1831 bis 1874 bildeten die Bezirksgerichte zusätzlich die zweite Instanz für die von den Zunft- bzw. Kreisgerichten beurteilten Rechtssachen. Die Bezirksgerichte tagten anfänglich in der Besetzung von fünf Richtern, später immer häufiger und schliesslich durchwegs in der Besetzung von drei Richtern. Das System des Kollegialgerichts wurde im Verlauf der Zeit zunehmend durchbrochen, indem die Einzelrichterkompetenz gestärkt wurde. Bis 1911 war die Einzelkompetenz den Bezirksgerichtspräsidenten vorbehalten. Diese konnten bereits ab 1831 im sogenannten Audienzverfahren (später summarisches Verfahren genannt) Rechtsvorschläge sowie Befehle und Verbote über privatrechtliche Gegenstände erteilen. Ebenfalls ab 1831 konnten sie vereinzelte nichtstreitige Rechtssachen erledigen (1912 wurden die Kompetenzen in diesem Bereich bedeutend ausgeweitet), ab 1872 zudem Konkurse eröffnen sowie Konkursstreitigkeiten behandeln und ab 1875 schliesslich als Einzelrichter im ordentlichen Verfahren über Zivilstreitigkeiten mit geringem Streitwert entscheiden. Ab 1912 wurde der Einzelrichter als besondere Gerichtsstelle behandelt; es handelte sich von nun an also um ein selbstständiges Amt, auch wenn es in der Praxis weiterhin häufig vom Gerichtspräsidenten ausgeübt wurde. Das Einzelrichteramt in Strafsachen wurde erst 1935 (nur beim Bezirksgericht Zürich) bzw. 1942 (bei allen Bezirksgerichten) geschaffen.
Eine spezielle zivilrechtliche Aufgabe nehmen die Bezirksgerichte (in einzelrichterlicher Kompetenz) seit 1996 wahr: Sie sind - in der Nachfolge der abgeschafften Psychiatrischen Gerichtskommission - zuständig für die gerichtliche Beurteilung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung bzw. der fürsorgerischen Unterbringung.
Eine andere wichtige Aufgabe der Bezirksgerichte ist die Aufsicht über gewisse Ämter und Institutionen im Bezirk. Dazu gehören insbesondere die Friedensrichterämter, die Notariate und Grundbuchämter sowie die Betreibungs- und Konkursämter. Im 19. Jahrhundert oblag den Bezirksgerichten zudem die Aufsicht über die Pfarrämter und Kirchenpflegen, wenn diese als Sühnebehörden in Vaterschafts- und Ehesachen handelten, sowie über die Rechtsanwälte und Geschäftsagenten.

Den Bezirksgerichten angegliedert waren und sind verschiedene spezialisierte Gerichtsbehörden. Ihre Entstehung, Entwicklung, Zuständigkeiten und Strukturen werden im Folgenden beschrieben.
Zur Erledigung von Zivilstreitigkeiten, die aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitgebern und bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmern entstanden, wurde auf den 01.01.1896 die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, für das Gebiet einer oder mehrerer Gemeinden gewerbliche Schiedsgerichte einzuführen. Ein erstes wurde drei Jahre später für die Stadtgemeinde Zürich errichtet. Mitte 1919 dehnte es seine Zuständigkeit auf den ganzen Bezirk Zürich aus. Nach der 1935 erfolgten Umbenennung der gewerblichen Schiedsgerichte in Gewerbegerichte erhielt am 01.07.1938 auch die Stadt Winterthur eines. Weitere Arbeitsgerichte, wie die Gewerbegerichte seit 1976 heissen, wurden erst 2012 nach Inkraftsetzung des kantonalen Gerichtsorganisationsgesetzes GOG eingerichtet. Dieses Gesetz sieht für jeden Bezirk ein dem Bezirksgericht angegliedertes Arbeitsgericht vor. Das neu geltende Recht setzte gleichzeitig der bis anhin bestehenden Möglichkeit der direkten Klageerhebung beim Arbeitsgericht ein Ende, indem es festlegte, dass vor der Anrufung des Arbeitsgerichts stets ein Schlichtungsgesuch beim örtlich zuständigen Friedensrichteramt einzureichen ist. Die einzelnen Arbeitsgerichte bestehen seit jeher aus einem vom Bezirksgericht aus seinen Mitgliedern gewählten Präsidenten sowie einer unterschiedlichen Anzahl Beisitzender, die je zur Hälfte Vertreter der Arbeitgeber- bzw. der Arbeitnehmerseite sein müssen und bei deren Wahl zudem die verschiedenen Berufsgruppen angemessen berücksichtigt werden müssen. Für jede Verhandlung wird das Arbeitsgericht mit dem Präsidenten und mit je einem (früher teilweise je zwei) sachkundigen Beisitzenden aus den Gruppen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besetzt. In Fällen mit geringem Streitwert entscheidet seit 1935 der Präsident des Arbeitsgerichts als Einzelrichter.
Die landwirtschaftlichen Schiedsgerichte wurden mit der Inkraftsetzung des kantonalen Gesetzes über die Förderung der Landwirtschaft vom 24.09.1911 geschaffen. Ihre Aufgabe bestand in der Erledigung von Grundstücksstreitigkeiten, welche bei Meliorationsunternehmungen im Bereich der Be- und Entwässerung, der Flureinteilung und der Flurwege entstanden. Als Klägerinnen mussten jeweils die mit der Leitung der Unternehmungen betrauten Kommissionen auftreten, obwohl das Verfahren durch Einsprache der betroffenen Grundeigentümer ausgelöst wurde. Die Schiedsgerichte setzten sich aus dem Bezirksgerichtspräsidenten als Obmann sowie zwei von der Landwirtschaftskommission und zwei von den Streitparteien bezeichneten Mitgliedern zusammen. Mit der Einführung eines neuen Landwirtschaftsgesetzes im Jahr 1963 endete die Tätigkeit der Schiedsgerichte. An ihre Stelle trat das kantonale Landwirtschaftsgericht.
Die kantonale Strafprozessordnung vom 04.05.1919, die erstmals ein spezielles Verfahren gegen Kinder und Jugendliche enthielt, brachte die Einführung von Jugendgerichten per 01.07.1919 mit sich. Seither beurteilen die Bezirksgerichte oder jeweils eine Abteilung eines Bezirksgerichts als Jugendgerichte auf Antrag der Jugendanwaltschaften hin strafbare Handlungen von Minderjährigen. Zusätzlich erhielten die Jugendgerichte Entscheidungsbefugnisse im Bereich des Vollzugs der ausgesprochenen Massnahmen und Strafen (Änderung oder Aufhebung von Massnahmen, Widerruf des bedingten Strafvollzugs, Löschung von Strafregistereinträgen) sowie später auch im Bereich der von den Jugendanwaltschaften während eines Untersuchungsverfahrens angeordneten vorsorglichen Massnahmen (Bewilligung oder Ablehnung von Gesuchen um Weiterführung oder Aufhebung solcher Massnahmen).
Die Einrichtung von Mietgerichten erfolgte Ende 1970. Sie war eine Folge des am 24.06.1970 verabschiedeten Bundesgesetzes über die Änderung des Obligationenrechts, das die Möglichkeit der Erstreckung des Mietverhältnisses nach Kündigungen vorsah und die Kantone beauftragte, für solche Entscheidungen richterliche Behörden zu bestellen und für ein rasches Verfahren zu sorgen. Die Kompetenzen der Mietgerichte wurden in den Folgejahren ausgeweitet: 1972 wurde die Möglichkeit geschaffen, die Mietgerichte wegen bestimmter - in einem Bundesbeschluss definierter - Missbräuche im Mietwesen anzurufen. Seit 1980 beurteilen die Mietgerichte generell alle Streitigkeiten aus Miet- und Pachtverhältnissen für Wohn- und Geschäftsräume sowie Streitigkeiten aus landwirtschaftlicher Pacht. Die einzelnen Mietgerichte setzen sich seit ihrer Einführung aus einem Präsidenten, welcher vom Bezirksgericht aus seinen Mitgliedern gewählt wird, sowie einer je nach Bezirk unterschiedlichen Anzahl Beisitzender zusammen, wobei je zwei Beisitzende Verpächter und Pächter aus dem Bereich der Landwirtschaft und die restlichen Beisitzenden je zur Hälfte Vertreter der Vermieter- bzw. der Mieterseite sein müssen. Die Wahl der Beisitzenden obliegt ebenfalls dem Bezirksgericht, das aber nach Möglichkeit die Vorschläge entsprechender Verbände berücksichtigt. Für jede Sitzung wird das Mietgericht mit dem Präsidenten sowie je einem Beisitzenden aus den Gruppen der Mieter und Vermieter oder aus den Gruppen der Pächter und Verpächter besetzt. Bei Streitigkeiten mit geringem Streitwert entscheidet seit 1981 der Präsident des Mietgerichts als Einzelrichter.
Gemäss dem Bundesbeschluss über Massnahmen gegen Missbräuche im Mietwesen vom 30.06.1972 hatten die Kantone Schlichtungsstellen einzurichten, in dem die Vermieter- und Mieterverbände oder andere Organisationen, die ähnliche Interessen wahrnahmen, paritätisch vertreten waren. Im Kanton Zürich wurden in der Folge sogenannte Paritätische Schlichtungsstellen in Mietsachen gebildet. Sie waren als erste Instanz für die Anfechtung missbräuchlicher Mietzinse oder anderer missbräuchlicher Forderungen der Vermieterschaft zuständig und sollten zudem eine beratende Funktion übernehmen. Ihre Aufgabe bestand darin, im Schlichtungsverfahren zwischen den Parteien eine Einigung anzustreben. Gelang es nicht, eine solche zu erzielen, konnte die davon nachteilig betroffene Partei das Mietgericht anrufen. Nach dem Inkrafttreten einer Miet- und Pachtrechtsnovelle im schweizerischen Obligationenrecht am 01.07.1990 wurden die Schlichtungsstellen umbenannt in Paritätische Schlichtungsbehörden in Miet- und Pachtsachen, ihre Aufgaben und Kompetenzen blieben jedoch weitgehend unverändert: Sie waren und sind zuständig für Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen. Neu war, dass die Schlichtungsbehörden in gewissen Fällen mit Entscheidungskompetenzen wirken konnten und dass sie auch Gesuche um Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen zu behandeln hatten. Die Wahl der Mitglieder einer Schlichtungsbehörde erfolgt seit jeher durch das jeweilige Bezirksgericht. Es wählt einerseits aus den Reihen seiner Gerichtsschreiber die Sekretäre bzw. seit 1990 die unabhängigen Vorsitzenden und andererseits auf Vorschlag der Mieter- und Vermieterverbände die erforderlichen Schlichter, und zwar gleich viele von beiden Seiten. Für jede Verhandlung wird die Schlichtungsbehörde mit einem Vorsitzenden sowie mit je einem Schlichter aus den Gruppen der Mieter und der Vermieter besetzt.

Benutzte Quellen und Literatur:
Gesetze betreffend das zürcherische Gerichtswesen im Allgemeinen, in: Offizielle Sammlung der seit 10. März 1831 erlassenen Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen des Kantons Zürich
Rechenschaftsberichte des Obergerichts des Kantons Zürich
Staatskalender des Kantons Zürich

Der Abteilungsbeschrieb wurde von Matthias Wild angefertigt.
Creation date(s):approx. 1695 - 2013
Level:Abteilung
Weblinks (Beschreibung):Die Website der Bezirkgerichte des Kantons Zürich ist abrufbar unter:
Weblinks:http://www.gerichte-zh.ch/organisation/bezirksgerichte.html
 

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Related units of description:Fortsetzung von:
YY 3 Protokolle über Urteile und Verfügungen, Urkundenbücher, 1803-1874 (Klasse)

Versetzt von:
[B XII] Bezirksbehörden (Fonds)
 

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